Sommerberg Anlegerrecht - Urteil

Fonds­an­le­ge­rin erhält über 35.000 Euro plus Zin­sen als Scha­dens­er­satz zuge­spro­chen: Com­merz­bank AG wegen schwer­wie­gen­der Falsch­be­ra­tung ver­ur­teilt

Mit Urteil des Landgerichts Verden vom 17. November 2011 (Az. 4 O 123/11) wurde die Commerzbank AG verpflichtet, einer Fondsanlegerin ihren gesamten Schaden zu ersetzen, der durch die Falschberatung über die Geldanlage in den Immobilienfonds Degi International entstanden ist. Die Gerichtsentscheidung wurde von der Anlegerschutzkanzlei Sommerberg erstritten, die die Anlegerin in dem Verfahren vertritt.

Eine der beiden Verfassungsbeschwerden (Az. 1 BvR 1569/08) wurde im Jahr 2008 durch den für die Kanzlei Sommerberg tätigen Anlegeranwalt Olaf Hasselbruch für eine Minderheitsaktionärin eingebracht, die sich durch ein Delisting in ihren Eigentumsgrundrechten verletzt sieht.

Der Verfahrensausgang ist offen. Rein statistisch ist der Erfolg einer Verfassungsbeschwerde nur äußerst gering. Immerhin scheint die Beschwerde für das Bundesverfassungsgericht aber von besonderer Bedeutung, da die Sache mündlich vor dem Senat verhandelt wird. Nur eine verschwindend geringe Anzahl von rund 0,5 Prozent der Verfassungsbeschwerden gelangt überhaupt in den Senat.

Dazu erklärt Anlegeranwalt Hasselbruch: „Wir wollen nichts unversucht lassen und setzen uns mit der Verfassungsbeschwerde bis vor das höchste deutsche Gericht für einen effektiven Anlegerschutz ein. Wir sind durch alle Instanzen gegangen, um eine Stärkung der Rechte der Minderheitsaktionäre zu erreichen. Der Versuch ist es auch dann Wert gewesen, wenn unserer Verfassungsbeschwerde letztlich nicht stattgegeben werden sollte.

Im Kern geht es um das Ziel, dass Minderheitsaktionäre einen angemessenen Kompensationsanspruch für eine erlittene Rechtsbeeinträchtigung durch eine besondere Form des Delisting erhalten, nämlich der Einstellung der Aktiennotiz im regulierten Börsenmarkt, bei gleichzeitigem Verbleib der Preisfeststellung im qualifizierten Freiverkehr (dem Segment „m:access“ der Börse München). Nach Auffassung von Rechtsanwalt Hasselbruch ist auch bei dieser Sonderform des Delisting die Verkehrsfähigkeit der Aktien beeinträchtigt. Dann muss den Aktionären nicht nur ein Pflichtangebot unterbreitet werden, sondern ihnen sollte auch der Rechtsweg durch ein gerichtliches Spruchstellenverfahren offen stehen, um die Angemessenheit der Abfindungshöhe gerichtlich überprüfen und feststellen zu lassen.

Auszug aus der Pressemitteilung Nr. 79/2011 vom 16. Dezember 2011 des Bundesverfassungsgerichts:

Die Verfassungsbeschwerden werfen die Fragen auf,

  • ob und wie weit die Zulassung zum Börsenhandel im regulierten Markt wegen der daran anknüpfenden besonderen rechtlichen Regeln und der daraus möglicherweise folgenden gesteigerten Verkehrsfähigkeit der Aktie den Schutz des Eigentumsgrundrechts genießt, und
  • ob der Bundesgerichtshof mit seiner „Macrotron-Entscheidung“ aus dem Jahr 2002 (BGHZ 153, 47) noch die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung wahrt, in der er für den „Verlust“ der mit der Börsennotierung verbundenen gesteigerten Verkehrsfähigkeit auf das Eigentumsgrundrecht gestützt ein Pflichtangebot an die Minderheitsaktionäre zur Übernahme ihrer Aktien oder zu einer Ausgleichszahlung und dessen Überprüfbarkeit in einem Spruchverfahren fordert.

 

 

Zum Sachverhalt:

Im fachgerichtlichen Ausgangsverfahren zur Verfassungsbeschwerde 1 BvR 1569/08 wollte eine Minderheitsaktionärin gegen eine Kommanditgesellschaft auf Aktien sowie deren Mehrheitsaktionärin im Spruchverfahren eine Barabfindung als Ausgleich für den Widerruf der Börsenzulassung durchsetzen. Das Delisting wurde allerdings nur teilweise vollzogen, nämlich als sogenanntes „Downgrading“: Die Aktien wurden nach dem Rückzug vom regulierten Markt noch in einem standardisierten Segment des qualifizierten Freiverkehrs gehandelt, dem Segment „m:access“ der Börse München. Die Beschwerdeführerin beantragte, im Spruchverfahren eine angemessene Barabfindung festzusetzen. Die Fachgerichte hielten das Spruchverfahren für unzulässig, weil die Verkehrsfähigkeit der Aktien aufgrund des im Freiverkehr weiterhin funktionierenden Marktes nicht beeinträchtigt und eine Anwendung der „Macrotron-Regeln“ deshalb nicht geboten sei. Die Verfassungsbeschwerde 1 BvR 3142/07 betrifft dieselbe Problematik aus der Sicht des Hauptaktionärs: Mit dem von der Aktiengesellschaft beantragten Widerruf der Börsenzulassung unterbreitete die Beschwerdeführerin als deren Großaktionärin den übrigen Aktionären der Aktiengesellschaft – nach ihrer Auffassung freiwillig – ein Angebot zum Kauf ihrer Aktien. Einige Aktionäre verlangten in einem Spruchverfahren eine höhere Abfindung. Hier bejahten die Fachgerichte die Zulässigkeit dieses Verfahrens. Dagegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde der Hauptaktionärin. Diese meint, der Widerruf der Börsenzulassung löse keine Pflicht zu einem Kaufangebot aus. Sie werde in verfassungswidriger Weise einem gesetzlich gar nicht vorgesehenen Spruchverfahren ausgesetzt. Die Fachgerichte hätten bei der von ihnen zugrunde gelegten Gesamtanalogie zu anderen minderheitsaktionärsschützenden Regelungen ihre Befugnis zur Rechtsfortbildung überschritten.

Zum rechtlichen Hintergrund der Verfahren:

Über die Zulassung von Aktien zum Handel im regulierten Markt und deren Widerruf entscheidet die Geschäftsführung der Börse (§ 32 Abs. 1 BörsG). Das Aktienrecht nimmt diese Zulassung auf. § 3 Abs. 2 Aktiengesetz lautet:

Börsennotiert im Sinne dieses Gesetzes sind Gesellschaften, deren ktien zu einem Markt zugelassen sind, der von staatlich anerkannten Stellen geregelt und überwacht wird, regelmäßig stattfindet und für das Publikum mittelbar oder unmittelbar zugänglich ist.

Als „Delisting“ bezeichnet man den Rückzug einer bisher börsennotierten Aktiengesellschaft aus dem regulierten Markt.

Ein freiwilliges Delisting kann als vollständiger Rückzug durch den Fortfall der Notierung an sämtlichen Börsen oder als Teilrückzug durch den Wegfall der Notierung an einer oder einigen Börsen oder verbunden mit einem Wechsel in ein besonderes, im wesentlichen von den Börsen selbst reguliertes Segment des sogenannten qualifizierten Freiverkehrs erfolgen. Dabei handelt es sich um eine nur privatrechtlich organisierte Handelsplattform, für die keine staatlich geregelte Zulassungspflicht der gehandelten Papiere besteht (vgl. § 48 BörsG). Die gesetzlichen Anforderungen an die Publizitäts- und Informationspflichten von Aktiengesellschaften sind dort geringer. Sie können sich aber freiwillig privaten Standards unterwerfen. Diese können der staatlichen Regulierung nahe kommen. Beispiele hierfür sind die im Jahr 2005 eröffneten Teilbereiche „Entry Standard des Freiverkehrs (Open Market)“ der Frankfurter Wertpapierbörse und – so im Verfahren 1 BvR 1569/08 – „m:access“ der Börse München. Die Börsenkurse der Aktien, die in diesen Segmenten des Freiverkehrs gehandelt werden, werden veröffentlicht. Die Aktien können unter Angabe der Wertpapierkennziffer vom Anleger über seine Depotbank gehandelt werden. Die Börse bedarf zur Einrichtung eines qualifizierten Freiverkehrs einer Erlaubnis der staatlichen Börsenaufsicht. Der Handel selbst folgt indessen privatrechtlichen Grundsätzen.

Für die rechtliche Bewertung des Delisting sind zwei im Grundsatz eigenständige Regelungskreise in den Blick zu nehmen: Der kapitalmarktrechtliche (Börsenrecht) auf der einen Seite und der gesellschaftsrechtliche (Aktienrecht, Umwandlungsrecht, usw.) auf der anderen Seite. Das Kapitalmarktrecht regelt im Börsengesetz unter anderem die Stellung der Börse, die Zulassung der Aktien zum regulierten Markt und deren Widerruf. Es setzt darüber hinaus auch einen Rahmen für den Freiverkehr an den Börsen. Die Börse regelt diesen Freiverkehr selbst weiter in Richtlinien und Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Im Gesellschaftsrecht, insbesondere im Aktiengesetz ist überdies eine Fülle von (gesellschaftsrechtlichen) Sonderbestimmungen für die (im regulierten Markt) börsennotierten Aktiengesellschaften enthalten. Hierzu zählen u. a. die Pflicht zur Veröffentlichung von Finanzberichten nach den International Financial Reporting Standards und die Verpflichtung, jährlich anzugeben, inwieweit sie sich an die Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex halten. Bei börsennotierten Aktiengesellschaften verjährt die Vorstandshaftung erst nach 10 statt nach 5 Jahren. Nur für börsennotierte Aktiengesellschaften schreibt der Gesetzgeber vor, dass die Vergütung des Vorstands auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten ist und der Aufsichtsrat häufiger zusammenzutreten hat. Die Pflicht zur Mitteilung einer Änderung der Beteiligungsverhältnisse, die zu einer Änderung der Aktionärsstruktur führt (in Prozent der Beteiligung), die Pflicht zur Veröffentlichung von Insiderinformationen und von Geschäften von Führungskräften mit eigenen Aktien gehören ebenfalls zu diesen besonderen Regelungen für börsennotierte Aktiengesellschaften. Das Gesellschaftsrecht enthält weiter zahlreiche Vorschriften für den Schutz von Minderheitsaktionären. Diese sind der Anknüpfungspunkt für eine Gesamtanalogie in der fachgerichtlichen Rechtsprechung zum gerichtlich überprüfbaren Pflichtangebot beim freiwilligen Delisting.

Beim Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages muss Aktionären der von einem anderen Unternehmen beherrschten Aktiengesellschaft entweder jährlich ein Ausgleichsbetrag gezahlt oder ihnen eine Abfindung angeboten werden. Bei einer Eingliederung in eine andere Aktiengesellschaft können ausgeschiedene Aktionäre eine angemessene Abfindung beanspruchen. Beim zwangsweisen Ausschluss von Minderheitsaktionären im Wege eines Squeeze-out (der den Squeeze-out betreibende Hauptaktionär muss über 95 % der Aktien verfügen) muss der Hauptaktionär den ausgeschlossenen Aktionären eine Barabfindung gewähren. Weitere Pflichtangebote sind im Umwandlungsgesetz vorgesehen. So hat im Rahmen eines Verschmelzungsvertrages der übernehmende Rechtsträger jedem widersprechenden Anteilsinhaber den Erwerb seiner Anteile gegen eine angemessene Barabfindung anzubieten. Gleiches gilt für den formwechselnden Rechtsträger. Der Minderheitsaktionär kann in diesen Fällen die Höhe der Abfindung in einem sogenannten Spruchverfahren gerichtlich überprüfen lassen. Für den Widerruf der Börsenzulassung zum regulierten Markt (freiwilliges Delisting) hat der Gesetzgeber den Schutz der Minderheitsaktionäre allein kapitalmarktrechtlich geregelt. § 39 Abs. 2 BörsG bestimmt, dass die Zulassungsstelle die Zulassung zur amtlichen Notierung auf Antrag der Gesellschaft widerrufen kann, wenn „der Schutz der Anleger einem Widerruf nicht entgegensteht“, wobei Näheres über den Widerruf in der jeweiligen Börsenordnung zu bestimmen ist. Früher sahen sämtliche deutschen Börsenordnungen vor, dass dem Schutz der Anleger bei einem Delisting dann genügt sei, wenn den Inhabern der Wertpapiere ein Kaufangebot unterbreitet werde. Diese Regelungen wurden überwiegend aufgegeben.

Der Bundesgerichtshof verlangt seit seiner „Macrotron“-Entscheidung aus dem Jahr 2002 (BGHZ 153, 47) für den Rückzug von der Börse einen über den kapitalmarktrechtlichen Schutz hinaus gehenden gesellschaftsrechtlich verankerten Schutz der Minderheitsaktionäre: Denn das Delisting nehme dem Minderheitsaktionär den Markt, der es ihm ermögliche, seine Aktie jederzeit zu veräußern. Dieser „Wegfall des Marktes“ könne auch nicht durch die Einbeziehung der Aktien in den Freihandel ausgeglichen werden. Nach Bekanntwerden des Delisting trete erfahrungsgemäß ein Kursverfall der Aktien ein. Die besondere Verkehrsfähigkeit der börsennotierten Aktie unterfalle deshalb dem Schutz von Art. 14 GG. Das Delisting sei nur zulässig, wenn die Hauptversammlung es mit mindestens einfacher Mehrheit beschließe, der Mehrheitsaktionär oder die Aktiengesellschaft den Minderheitsaktionären ein Angebot unterbreite, ihre Aktien zu kaufen und das Angebot gerichtlich im Spruchverfahren auf seine Angemessenheit überprüfbar sei.

 

 


Autor: Thomas Diler / Google+
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