Teil-Musterentscheid im Wirecard-Musterverfahren – Bayerisches Oberstes Landesgericht weist Feststellungsziele zurück

Der 1. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat am 28. Februar 2025 in dem Kapitalanleger-Musterverfahren in Sachen Wirecard (Az. 101 Kap 1/22) einen Teil-Musterentscheid verkündet.

Mit dieser Entscheidung hat das Gericht die meisten Feststellungsziele des Vorlagebeschlusses des Landgerichts München I vom 14. März 2022 (Az. 3 OH 2767/22 KapMuG) als unzulässig zurückgewiesen.

Außerdem hat das Bayerische Oberste Landesgericht mit dem Teil-Musterentscheid sämtliche Feststellungsziele des Vorlagebeschlusses, die sich gegen die Wirecard-Abschlussprüferin, die Musterbeklagte zu 2) EY GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (EY) richten, als im Musterverfahren nicht statthaft zurückgewiesen. Der Beurteilung des Gerichts zufolge seien die Voraussetzungen für Schadensersatzansprüche gegen die Abschlussprüferin EY nicht im Musterverfahren zu klären.

Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof

Die Kanzlei Sommerberg hält die Entscheidung für falsch. Wir sind der festen Überzeugung, dass das Gericht die Zulässigkeitsfragen fehlerhaft beurteilt hat. Unserer Ansicht nach sprechen starke rechtliche Argumente dafür, dass die Feststellungsziele zulässig und statthaft sind.

Aus diesem Grund werden wir die Einlegung der Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH) gegen den Teil-Musterbescheid des Bayerischen Obersten Landesgerichts veranlassen.

Unsere Mandanten müssen derzeit nicht tätig werden, sondern können den Ausgang des Verfahrens über die Rechtsbeschwerde vor dem BGH abwarten. Selbstverständlich halten wir Sie über den weiteren Verlauf und alle wesentlichen Entwicklungen auf dem Laufenden.

Weitere Einzelheiten zum Teil-Musterentscheid des Bayerischen Obersten Landesgerichts

In dem Kapitalanleger-Musterverfahren streiten die Verfahrensbeteiligten darüber, ob die Wirecard AG im Zusammenhang mit der Veröffentlichung ihrer Geschäftsberichte für die Jahre 2014 bis 2018 Pflichten im Rahmen der Kapitalmarktkommunikation verletzt hat, sowie darüber, ob EY als Musterbeklagte zu 2) bei der Überprüfung der Konzern-Rechnungslegung der Wirecard AG für die genannten Geschäftsjahre gegen Prüfpflichten verstoßen und sich durch die Erteilung uneingeschränkter Bestätigungsvermerke an fehlerhaften Kapitalmarktinformationen der Wirecard AG beteiligt oder selbst fehlerhafte Kapitalmarktinformationen getätigt hat.

Mit dem Teil-Musterentscheid vom 28. Februar 2025 hat der 1. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts sämtliche Feststellungsziele des Vorlagebeschlusses, die sich gegen die Abschlussprüferin EY richten, als im Musterverfahren nicht statthaft zurückgewiesen. Mit diesen Feststellungszielen sollten Voraussetzungen für Schadensersatzansprüche gegen die Abschlussprüferin festgestellt werden, die auf die Erteilung uneingeschränkter Bestätigungsvermerke über die Prüfung der Konzernabschlüsse und Konzernlageberichte der Wirecard AG für die Geschäftsjahre 2014 bis 2018 gestützt werden.

Der Senat hat den Meinungsstreit darüber, ob Schadensersatzansprüche gegen den Abschlussprüfer wegen der Erteilung eines Bestätigungsvermerks in den Anwendungsbereich des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) fallen, dahingehend entschieden, dass dies jedenfalls für die im Verfahren noch anzuwendende, bis einschließlich 19. Juli 2024 geltende Fassung des Gesetzes (a. F.) nicht der Fall sei. Er hat die Ansicht vertreten, es fehle an dem erforderlichen unmittelbaren Bezug zwischen dem Bestätigungsvermerk, den der Abschlussprüfer an die geprüfte Gesellschaft kommuniziere, und einer öffentlichen Kapitalmarktinformation. Dabei hat der Senat betont, dass der Bestätigungsvermerk zwar eine wichtige Informationsquelle für den Markt und insbesondere für Kapitalanlageinteressenten sei. Jedoch sei nach der Rechtsprechung des BGH der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG a. F. nur eröffnet, wenn die geltend gemachte Schadensersatzpflicht an die Publikation oder Veranlassung einer für die Öffentlichkeit bestimmten Kapitalmarktinformation anknüpfe. Da nicht der Abschlussprüfer, sondern die geprüfte Gesellschaft die mit der Veröffentlichung des Bestätigungsvermerks verbundene Unterrichtung des Kapitalmarkts veranlasse, im vorliegenden Fall also die Wirecard AG, stehe das Kapitalanlegermusterverfahren nicht zur Verfügung, um die Voraussetzungen von Schadensersatzansprüchen gegen den Abschlussprüfer zu klären.

Zahlreiche weitere Feststellungsziele des Vorlagebeschlusses hat der Senat mit dem Teil-Musterentscheid vom 28. Februar 2025 als unzulässig zurückgewiesen, weil sie zu unbestimmt seien und damit den Gegenstand des Musterverfahrens nicht hinreichend abgrenzten. Andere Feststellungsziele sind als unzulässig zurückgewiesen worden, weil für die begehrte Feststellung das Rechtsschutzbedürfnis fehle oder es sich nicht um taugliche Feststellungsziele im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 KapMuG a. F. handele. Konkret wurden die folgenden Feststellungsziele des Vorlagebeschlusses als unzulässig zurückgewiesen:

A I 1 a bis e, 2 a bis e, 3 a bis e, 4 a bis e, 5 a bis e, 6 und 7, A II 1 a bis f, 2 c und d, das im Obersatz zu A II 3 enthaltene Feststellungsziel, soweit § 331 Nr. 2 HGB (a. F.) in Bezug genommen wird, A II 3 a bis c, das im Obersatz zu A II 4 enthaltene Feststellungsziel, A II 4 a, soweit die Feststellung begehrt wird, dass § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG (a. F.) Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ist, A II 4 b, 5, 6, 7, 8 und 9 sowie D 2.

Aus dem Teil-Musterentscheid ergibt sich aber auch, dass der Senat im weiteren Verfahren insbesondere über die Zulassung der zahlreichen Erweiterungsanträge zu entscheiden haben wird.

Zudem geht aus der Entscheidung hervor, dass die Zurückweisung sämtlicher gegen EY als Musterbeklagte zu 2) gerichteten Feststellungsziele zunächst nicht zur Folge hat, dass EY als Musterbeklagte aus dem Musterverfahren ausscheidet.

Gegen den Teil-Musterentscheid kann Rechtsbeschwerde zum BGH eingelegt werden. Dies wird die Kanzlei Sommerberg veranlassen.

 

 

 

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